Ährenlese 1921

In der Ährenlese, einer Monatsbeilage zum „Bülach-Dielsdorfer Volksfreund", Nr. 12, war im Juli 1921 ein Artikel zu den öffentlichen Brunnen in Bülach publiziert. Dieser ist für mich insofern interessant, weil er neben der Spiegelung des damaligen Zeitgeistes zwei interessante Fakten anspricht, nämlich:

  • Der Rathaus Brunnen hatte einen Vorgänger (Vater), der noch viel schöner war, als der heutige Brunnen von Hans Jakob Matis. Der vorherige Brunnen muss von oben bis unten mit schönen Bilder verziert gewesen sein und zuoberst musste ein vergoldeter Löwe gestanden haben. Der Brunnen sei weit herum bekannt gewesen.
  • Der ehemalige Brunnen in der äusseren Herti trug die Jahreszahl 1857. Er wurde vor 1921 bereits entfernt und durch ein "hübsches Tröglein mit Zierat und vielen wohlgeschwungenen Linien" ersetzt. Einer der Brunnen, die im Höragenwald deponiert sind und ein trauriges Leben fristen, trägt die Jahreszahl 1857. Könnte das der ehemalige Hertibrunnen sein? Siehe  auch Ausgemusterte Brunnen.

Den Zeitungsartikel habe ich in heute zeitgemässe Schrift übersetzt.

Kleine Mitteilungen.

- Oeffentliche Brunnen in Bülach. Die meisten Brunnen unserer Gemeinde stammen in ihrer heutigen Gestalt aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Massiv und währschaft ist der eine wie der andere. Der Zeitgeist spiegelt sich in der Form eines jeden wieder. Wozu viel Zierat? Wir erkennen, dass jene Zeit bloss dem zweckmässigen hold war. Aber nehmen liess sie es sich doch nicht, die Tröge aus grauem Sandstein mit dem bedeutungsvollen Roste des heiligen Laurentius zu versehen und auch die Zahl des Erbauungsjahres einzumeisseln. Die Brunnen sollten als Viehtränke und Wasserquell für die Häuser dienen. Seither ist vieles anders geworden. Hausfrau und Mägde sind der Pflicht des mühesamen Wassertragens ledig: keine Wohnstätte mehr, wo nicht das köstliche, unentbehrliche Nass aus seinen Röhren sprudelt. Gegen hundert Stück Vieh wurden früher an einem Brunnen getränkt; heute laben sich an demselben kaum zehn durstige Rinder. Wundern wir uns also nicht, wenn die Brunnen von der jungen Generation mehr als Zierde, denn als notwendige Einrichtungen des Gemeindehaushaltes angesehen werden. Dieses Denken ist schon weit verbreitet. Ein Beispiel seiner Auswirkung sieht man auf der äusseren Herti. Aus gewissen Gründen musste die Gemeinde den dortigen Brunnentrog, der die Jahrzahl 1857 trug, entfernen. Ein hübsches Tröglein mit Zierat und vielen wohlgeschwungenen Linien kam an seine Stelle. Und fragen wir, "warum?", so erfahren wir, dass die Landwirtschaft aus jenem Teil der Ortschaft fast gänzlich verdrängt ist. Als Tränke wird der Brunnen nur noch von wenigen Bauern benützt. Die Tatsache, dass er allmählich zum Zierbrunnen geworden, spiegelt in der Form des neuen Troges wider.

        Wenn ich vorhin sagte, dass unsere Brunnen bloss der Zweckmässigkeit genügen mussten, so trifft das nicht für alle zu. Die beiden grossen Brunnen mitten im Städtchen waren von jeher ebensosehr Zierde als Nutzen. Sie entstammen auch einer früheren Zeit. Vor wenigen Jahren wurden sie aufs beste renoviert. Hübsch sind besonders die Blumen und Gitter, welche ihre Stöcke schmücken. Der grosse Stadtbrunnen trägt die Jahreszahl 1797 und zeugt wie das Rathaus von grossem Opfermut unserer Vorfahren in Gemeindesachen. Nach J. Utzinger (Neujahrsgruss eines zurückgekehrten Bülachers. Vorgetragen in der Lesegesellschaft anno 1867) muss sein Vater die Pracht selber gewesen sein (Utzinger beschreibt als einer, der hundert Jahre abwesend war, den ersten Gang durchs Städtchen):

 

Da chumm i iez zum grosse Brunne,

Nu tunkts mi, 's sei nüd meh de glich.

A schöne Bildre ist vun unne

Bis obe gsi der ander rich.

 

Druf oben ist en Leue gstande,

En subre herli und vergüldt,

De, wol bikannt i wite Lande,

Hät prächtig i der Sunne gspillt.                                W.H.